An Herrn Hofrath Voß zu Heidelberg frey Ich habe meine Frau gebeten mir diesen Raum für einige Worte an Sie, mein väterlicher Freund, zu lassen. Es hat mir eine Freude gegeben wie ich nie empfunden Sie so ungealtert wiederzusehen; die Zeit gegen Ihre Person eben so ohnmächtig wie sie es gegen Ihre Werke seyn wird. So lebten griechische Greise für ihr Volk und die Nachwelt thätig zu höheren Jahren als unsere Verkommene in zweyter Kindheit; und Voß wird, wie Theo- phrast nach dem neunzigsten Jahre jugendlich denken und schreiben. So lange Sie so leben werde ich mich auch nicht alt fühlen, da mit der Erinnerung an Sie auch die an meine Kindheit verbunden ist: und es ist ein Gefühl von noch nicht ganz erstorbener Jugend daß ich mich , wie in den Jünglingsjahren, zu Ihnen als einem Leitenden in unserer Wissenschaft hinaufzusehen, freue. Wenn Sie vor der Erde genommen würden, so stände ich nach dem Scheitel des Berges hie von dem die Lebenden herabsteigen, schon fast als der letzte: die jüngeren sind mir fast alle fremd geblieben. Wir haben uns entschlossen den Winter hier zu bleiben: für die Folge mag Gott rathen. Eine neue, sehr ungelegen eingetretene, Schwangerschaft meiner Frau, die ihre Niederkunft Ende März erwartet, nöthigte uns den Plan Paris zu besuchen, aufzugeben: hätten wir auch einige Monate gegen den Sommer hie bleiben können, was war zu machen wann, wie der lezte Versuch uns zu sehr ahnden läßt, die Mutter nicht wird selbst stillen können? Berlin wäre, bey unentschiedenen künftigen Verhältnissen, unerträglich gewesen. Hier können wir auf unsere vier Wände eingeschränkt leben, und leben so. An Brandis habe ich einen treu anhänglichen jun- gen Freund ; - sonst lebe ich hier viel einsamer auch für den Geist als selbst zu Rom, wo immer … Zeit zu Zeit interessante fremde kamen: - und die Einheimischen in diesen Gegenden sind wahrlich… Römern ung…reit…vorzuziehen, darff sie durch stupide Superstition übertreffen. Es sind hier zwey ausge- zeichnete Philologen, freylich auf Grammatik beschränkt, aber darin ausgezeichnet: Heinrich und N(aeke?) beyde dürften meine historischen Arbeiten für etwas nicht nur untergeordnetes sondern sehr entbehrliches… dabey ist Heinrichs Persönlichkeit seltsam, verschroben und ganz unvertraulich. Ich habe die Fortsezung meiner Geschichte wieder unternommen; wie Sie, wenn Sie eine kleine Schrift er- halten haben die ich Ihnen durch den Buchhändler geschickt, erklärt gelesen haben werden. Diese Fortsezung stockte ursprünglich daran daß ich mit einem sehr wesentlichen Punkt, zwar wohl im allgemeinen zurecht kam aber ihn nicht im einzelnen entwickeln konnte, und eben so wenig die Sache chronologisch an ihren Ort bringen konnte. Dazu hat mir der Ärger über die Steinackersche Anfeindung geholfen: womit das liebe Vaterland den Zurückkehrenden begrüßt hat. Jetzt kann ich sagen daß ich die Geschichte der römischen Verfassung vom Anbeginn her bis zur Kaiserzeit so ausgemacht und vollständig habe wie nur die irgend eines neueren Staats: und das wird feststehen und das Chaos verdrängen, wie Ihre griechische Erdkunde und Mythologie, gegen die sich nur Lüge und wesentliche Verkehrtheit verstocken können. An diesen Ihren Forschungen ist mir das Licht aufgegangen mit dem ich meine Pfade verfolgt habe: ohne solche Muster hätte ich es wohl nicht können; und das rühme ich bey jeder Gelegenheit. Lassen Sie sich erbitten der Philologie von ganz Europa und der Nachwelt den Codex der Erkunde und My- thologie zu geben: ich bitte jetzt darum auch für meinen Knaben, der doch auch Philologe werden wird. Grüßen Sie Ihre ehrwürdige Frau und Mutter Boie herzlichst. Ihr Niebuhr